Rehe trinken nicht …
… , selbst bei großer sommerlicher Hitze, lautet z. B. eine immer wieder zu hörende Behauptung in Diskussionen um die Sommerstrategien unserer Wildtiere. Was ist dran an dieser Aussage und wie meistern die zahlreichen Arten ausgedehnte Hitzeperioden? Auch hier geht es den Tieren wie den Menschen.
Der gängigste Hitzeschutz ist die Suche nach kühlen, gedeckten, möglichst etwas windigen, schattigen Plätzen oder ein kühlendes Bad. Egal ob Rot- oder Rehwild, Dam-, Schwarz- oder Gamswild. Bei eigenen Arbeiten am Steinwild im Nationalpark Berchtesgaden, konnte ich mehrfach beobachten, dass die „Bergziegen“ gezielt in Felshöhlen oder unter Felsvorsprünge ziehen und dort die größte Hitze des Tages mehr oder minder bewegungslos aussitzen. Bei großer Hitze wird die Bewegungsaktivität generell deutlich herabgesetzt. Eine Ausnahme macht hier lediglich die Blattzeit des Rehwildes, deren Hochphase nicht selten in die heißesten Tage des Jahres fällt. Der Energieverbrauch der Rehböcke in dieser Zeit ist immens. Dementsprechend gering ist ihre Bewegungsaktivität nach Ende der Blattzeit.
Normalerweise decken die wiederkäuenden Schalenwildarten ihren sommerlichen Wasserbedarf über die saftige Sommeräsung und Tau. Dabei wird das in der Äsung gespeicherte Wasser fast vollständig ausgenutzt. Die immer wieder zu hörende Meinung aber, dass zum Beispiel Rehwild nicht trinken beziehungsweise schöpfen würde, ist unzutreffend. Im Gegenteil – in extrem trockenen und heißen Sommern, aber beileibe nicht nur dann, nutzt das Rehwild regelmäßig die sich bietenden Möglichkeiten, um an Gräben, Suhlen, Bächen oder Teichen seinen Wasserbedarf zu decken. Im Jahrhundertsommer 2003 konnte ich im „häuslichen“ Nordheiderevier mehrfach beobachten, wie Rehe gezielt einen etwa 250 Quadratmeter großen Quellwasser-Teich anwechselten, um dort zu schöpfen. Darüber hinaus bietet sich aber auch in normalen Sommern immer wieder die Gelegenheit, Rehwild bei der Wasseraufnahme zu beobachten. Gleiches gilt für das Rotwild, für die omnivoren Sauen sowieso und gleichsam für das Damwild. Deutlich seltener sind Muffel- und insbesondere das Gams- und Steinwild beim Schöpfen zu beobachten. Ihren usprünglichen Lebensräumen entsprechend, die mit Ausnahme des Muffelwildes auch heute noch ihre Habitate stellen, sind sie in der Lage auch aus karger und trockener Äsung ihren Wasserbedarf zu decken. Piegert & Uloth (2000) beschreiben für das Muffelwild eine stark eingeschränkte Wasserabgabe durch Harn und Verdunstung. Briedermann (1993) schildert, dass aber auch Muffel bei großem Durst „ausgiebig und in vollen Zügen“ trinken.
In langen sommerlichen Dürreperioden kann es auf bestimmten Standorten dazu kommen, dass in einzelnen Revieren keinerlei Wasser mehr zur Verfügung steht. In derartigen Situationen verlässt das Schalenwild seine angestammten Einstände auf der Suche nach Wasser. In solchen Fällen wird das Wasser zum ökologischen Minimumfaktor, dessen Mangel durch andere Faktoren nicht kompensiert oder gemildert werden kann.
Auch die klassischen Niederwildarten decken ihren Wasserbedarf zu unterschiedlich hohen Teilen über die Äsung und Tau. Doch auch sie – zum Beispiel Feldhase, Fasan und Rebhuhn oder die Wildtauben – benötigen bei entsprechend hohen Außentemperaturen Wasser. Fasanen und Tauben trinken auffallend viel, was man sich im Falle der Ringeltauben vor der Verkürzung der Schusszeit durch die Jagd an bekannten und von den Tauben gern angenommenen Wasserstellen im Feldrevier zu Nutze machte. Bemerkenswert dabei ist, dass Tauben ihren Schnabel als Strohhalm nutzen, und anders als zum Beispiel Hühner und viele andere Vögel nicht nur den Unterschnabel füllen und zum Abschlucken des Wassers dann den Hals und Kopf hoch aufrecken.
Der Wasserbedarf des Fasans ist in den so genannten vier „W’s“ festgehalten, die im übertragenen Sinne einen geeigneten Fasanen-Lebensraum charakterisieren sollen: Weizen, Wiese, Wald und Wasser.
Während die drei ersten Komponenten durch ähnliche Strukturen ersetzt werden können, kann gerade beim Fasan das Wasser als klassischer Minimumfaktor betrachtet werden. Selbst wenn sich alle anderen Komponenten annähernd im Optimum befinden, wird ein wasserfreier Lebensraum kein Fasanenrevier. Weitere Sommerstrategien schildert der nächste Beitrag im August an dieser Stelle.